English for runaways

Jeder benutzt sie, die meisten jedoch leider ohne sie jemals zu hinterfragen. Anglizismen sind buchstäblich in aller Munde. Grund genug, sich im Editorial der Sommerausgabe von „Unser Schaufenster“ des Jahres 2010 einmal näher mit diesen Dingern zu beschäftigen.

Liebe Leserinnen und Leser,

über mein sagen wir einmal „etwas angespanntes” Verhältnis zu sportlicher Betätigung jedweder Art hatte ich an dieser Stelle ja bereits das eine oder ander Mal berichtet. Sicher drücke auch ich der Deutschen Nationalelf alle mir zur Verfügung stehenden Daumen für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika, sicher werde ich mir die Spiele mit deutscher Beteiligung auch ansehen. Aber eines steht felsenfest: Dies geschieht im heimischen Wohnzimmer und auf gar keinen Fall bei einer der zahlreichen „Public Viewing”-Veranstaltungen, und dies gleich aus zwei guten Gründen. Erstens sind mir Menschenaufläufe in dieser Größenordnung nicht geheuer, daran können auch gut gemeinte Fan-Verkleidungen und ein kollektiver Schwarz-Rot-Gold-Rausch wenig ändern. Mindestens so wichtig ist mir jedoch Grund nummer Zwei: Haben Sie eigentlich schon mal nachgedacht, was der englische Begriff public viewing eigentlich tatsächlich bedeutet?

Und damit wären wir auch schon mitten im Thema für das heutige Editorial, nämlich der fortschreitenden Abflachung der deutschen Sprache durch die übermäßige Verwendung von Anglizismen. Dabei spricht gegen die Benutzung von fremd entlehntem Vokabular zunächst einmal gar nichts, wenn diese treffend ist und eventuell sogar eine sprachliche Lücke schließt. Kleines Beispiel gefällig? Beschreiben Sie doch einmal eine „modisch schön koordinierte Zusammenstellung von verschiedenen Kleidungsstücken” in einem Wort. Spontan wird Ihnen sicher „Outfit” einfallen. Soweit auch kein Problem. Aber warum sollte man sich, um im Sujet Kleidung zu bleiben, einen Body anziehen, was für den englischen Muttersprachler schlicht Leiche bedeutet? Lehnwörter funktionieren übrigens auch ganz prima umgekehrt. So spricht man im englischen sicher tausendmal lieber vom Rucksack als vom hippen Bodybag, möchte man meinen. Und das die Deutsche Bahn Ihre Auskunftsschalter nun Service-Points nennt, mag ja noch angehen, wenn dieser Service auch tatsächlich vorhanden ist. Doch das ehemalige Angebot „Zug zum Flug” heißt heute „Rail and Fly”, wörtlich übersetzt „Fluche und fliege”. Hat denn da eine komplette Marketing-Abteilung geschlafen?

Merkwürdiger Weise verschwinden manche Wörter schleichend ins sprachliche Nirvana. Nehmen wir die Tätigkeit des Überspielens einer Datei aus dem Internet: Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte man diese Tätigkeit herunterladen genannt. Hübsch konjugierbar zu „Er lädt herunter”, „Er lud herunter”, „Er hat heruntergeladen”. Und heute? Heute heißt es schlicht downloading. Aber konjugieren Sie das mal – sagt man nun Downgeloadet oder gedownloaded? Unsere Jugend hat es da anscheinend etwas leichter, so werden vielfach Anglizismen kurzerhand kreativ zurückübersetzt. Aus einem USB-Stick wird eben ein Datenzäpfchen und der Nordic Walker mutiert zur Stockente.

Public viewing übrigens, um zum Anfang zurückzukehren, bedeutet für den Muttersprachler das Aufbahren von Toten zur öffentlichen Abschiednahme. So schlecht ist der deutsche Fußball denn dann wohl doch nicht. Der Engländer würde eine solche Veranstaltung „Fan Fest” nennen, sehr passend in meinen Augen. Einen Vorschlag hätte ich allerdings auch noch: Nennen wir sie doch einfach „Gruppengucken”.

Herzlichst, Ihr André R. Kohl

Details
Titel: Sommerausgabe Unser Schaufenster 2010
Autor: André R. Kohl
Kunde: Schülingkamp Productions

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